Rückkehr nach Schlesien

 

                                              Franziskanerkloster

 

 

Meine Wanderungen durch Oppeln führen mich zu einem Franziskanerkloster, welches aus dem 13. Jahrhundert stammt. Wie bei allen Klöstern üblich, umgeben die rechtwinklig angeordneten Klostergebäude einen Kreuzgang, den Ort der alltäglichen sowie der allnächtlichen frommen Besinnung. An den Wänden des Kreuzganges sind Grabsteine einstiger Klosterbrüder angebracht, oft versehen mit verwitterten Reliefs der Verstorbenen,  zuweilen auch noch mit deren Lebensdaten. Nur die eigentlichen Namen der hier Begrabenen sind durchweg mit einem harten Gegenstand zerschlagen. In der Mitte des Kreuzganges sind Gräser und Kräuter zu ihrer natürlichen Höhe emporgewachsen, zum Teil schon wieder verdorrt durch die hier von keinem Luftzug gemilderten Sommersonne. Die Jahrhunderte alten steinernen Bögen sind von Rissen durchsetzt und bedeckt mit dunklen,  meist ineinander übergehenden Flecken.

 

Einige Mönche stehen herum, junge, schmale Gestalten, in deren Augen man findet, was man in ihnen sucht: vom Jenseitigen genährte Nachdenklichkeit. Die Mönche stehen in der Nähe einer Statue des heiligen Franziskus, welcher den Gekreuzigten mit einer schmerzvollen Gebärde an seinen, dem der jungen Mönche ähnelnden Körper drückt. Der steinerne Sockel des Heiligen weist die gleichen Schäden auf wie die Steine der Kreuzgangbögen.

 

Ohne meine Schaulust allzu offenbar werden zu lassen, betrachte ich  die polnischen Nachfolger des heiligen Franz. Was geht vor in ihren jungen Köpfen? Wissen sie, wer die Steine dieses Klosters zusammenfügte? Für wen die namenlosen, verwitterten Grabplatten einst angebracht worden sind? Wissen die jungen Polen, daß vor 48 Jahren - ein Nichts für eine Jahrhunderte umfassende Klostergeschichte - daß noch zu Lebzeiten ihrer Väter  ihre geistlichen Brüder aus diesen Klostermauern vertrieben worden sind, gejagt, gequält und vielleicht sogar erschlagen? Was ist das für ein Gott, den die jungen polnischen Asketen ausgezogen sind zu suchen? Ist es ein Gott, der nur da ist  für das Volk der Polen? Ein Gott, der imstande ist, sich   feindlicher Völker wegen mit sich selbst zu entzweien, um dann allein für das eine Volk Partei zu ergreifen? Was ist das für ein Gott, der in allem Polnischen das Gute, in allem Deutschen aber das Böse sieht? Der nur dann sein glühendes Schwert erhebt, wenn das Volk der Polen um Hilfe fleht? Und dessen "Gerechtigkeit" darin besteht, über  alle Arten von polnischer Ungerechtigkeit hinwegzusehen und der Leiden des geschändeten Nachbarvolkes überhaupt nicht  zu gedenken? Ist dieser Gott etwa mit dem heiligen Vater im Bunde, welcher sich nie die Mühe gemacht hat, seine Freude über die Rückgewinnung eines katholischen Schlesiens zu verbergen?

 

Wäre ich der fremden Sprache mächtig, könnte ich die jungen polnischen Mönche nach dem Gott fragen, dem sie sich verschrieben haben, könnte ihnen von ihres Gottes Widerpart, vom "Jehova" der alten deutschen Frau erzählen, welcher angekündigt hat, mit seinen Engeln und mit feurigen Lanzen zu kommen, um das, was seiner Meinung nach das Böse ist, zu zerschlagen, wo immer er es trifft.

 

Würden die Polen mir antworten?

 

Ich vermeide es, die  Blicke der jungen Mönche zu suchen. Immer wieder nur zeichne ich mit den Augen die schwarzen Flecken auf den steinernen Säulen nach, so lange, bis die Dunkelheit dieser Flecken eine Verbindung zu haben scheint zu der tiefen Schwärze des Gedenksteins, welcher inmitten der oberschlesischen Hauptstadt die Wiedergewinnung urpolnischen Bodens feiert.

 

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